Vielleicht hast du lange gezögert, bevor du diese Seite geöffnet hast. Vielleicht schwebte der Gedanke an ADHS schon seit Monaten oder Jahren in deinem Kopf herum. Vielleicht hat jemand etwas gesagt, oder du hast ein Video gesehen, und plötzlich fielen Puzzleteile an ihren Platz. Egal was dich hierher geführt hat: Es braucht Mut, sich diesen Fragen zu stellen.
Diese Checkliste ist kein Test, den du bestehen oder nicht bestehen kannst. Sie ist ein Werkzeug zur Selbstreflexion. Ein Weg, deine Erfahrungen zu sortieren und in Worte zu fassen. Viele Menschen mit ADHS haben jahrzehntelang versucht, in eine Welt zu passen, die nicht für sie gemacht wurde. Sie haben sich angestrengt, haben kompensiert, haben sich selbst die Schuld gegeben. Wenn du dich in vielen dieser Punkte wiedererkennst, ist das keine Schwäche. Es ist vielleicht der erste Schritt zu einem besseren Verständnis von dir selbst.
Nimm dir Zeit für diese Liste. Lies sie durch, wenn du Ruhe hast. Es ist in Ordnung, wenn dabei Gefühle hochkommen. Es ist in Ordnung, wenn nicht alles sofort klar ist. Deine Erfahrungen sind gültig, unabhängig davon, was am Ende einer Abklärung steht.
Wichtiger Hinweis
Diese Checkliste ersetzt keine professionelle Diagnose. Sie dient der Selbsteinschätzung und kann ein Gespräch mit einem Facharzt oder einer Fachärztin vorbereiten. Nur qualifizierte Fachpersonen können ADHS diagnostizieren.
So nutzt du diese Checkliste
Gehe die folgenden Punkte durch und überlege, ob sie auf dich zutreffen. Nicht gelegentlich, sondern regelmässig und über einen längeren Zeitraum. Laut der AWMF Leitlinie müssen die Symptome bereits vor dem 12. Lebensjahr begonnen haben und in mehreren Lebensbereichen auftreten.
Je mehr Punkte du ankreuzen würdest, desto sinnvoller kann eine professionelle Abklärung sein. Aber auch wenige, stark ausgeprägte Symptome können relevant sein.
Bereich 1: Aufmerksamkeit und Konzentration
Fokus und Ablenkbarkeit
- Ich werde leicht von Geräuschen, Bewegungen oder meinen eigenen Gedanken abgelenkt
- Ich habe Mühe, bei Gesprächen oder Vorträgen aufmerksam zu bleiben
- Ich lese oft Absätze mehrmals, weil ich mit den Gedanken abschweife
- Ich verliere bei längeren Aufgaben den Faden oder das Interesse
- Ich habe Schwierigkeiten, Gesprächen zu folgen, besonders in Gruppen
- Ich mache häufig Flüchtigkeitsfehler bei eigentlich einfachen Aufgaben
Hyperfokus
- Bei interessanten Tätigkeiten vergesse ich Zeit, Essen und andere Verpflichtungen
- Ich kann stundenlang in etwas vertieft sein, das mich fasziniert
- Wenn ich unterbrochen werde, reagiere ich oft gereizt
- Ich habe Mühe, aus einem fokussierten Zustand wieder herauszukommen
Bereich 2: Organisation und Planung
Struktur im Alltag
- Mein Schreibtisch, meine Wohnung oder mein Auto sind oft chaotisch
- Ich verlege regelmässig Schlüssel, Handy, Portemonnaie oder andere Dinge
- Ich vergesse Termine, obwohl ich sie mir vorgenommen habe
- Ich habe Mühe, Projekte zu Ende zu bringen, bevor ich ein neues anfange
- To Do Listen helfen mir nicht, weil ich sie vergesse oder ignoriere
- Ich unterschätze regelmässig, wie lange Aufgaben dauern
- Ich bin oft unpünktlich, obwohl ich es nicht will
Prokrastination und Anfangen
- Ich schiebe Aufgaben auf, obwohl ich weiss, dass es Konsequenzen hat
- Ich brauche oft externen Druck (Deadline, Stress), um anzufangen
- Ich fange viele Dinge an, bringe aber wenige zu Ende
- Administrative Aufgaben wie Steuern oder Rechnungen türmen sich auf
- Der Gedanke an eine Aufgabe erschöpft mich schon, bevor ich anfange
Bereich 3: Impulsivität und Emotionen
Impulsives Verhalten
- Ich unterbreche andere oft im Gespräch oder beende ihre Sätze
- Ich sage Dinge, die ich später bereue
- Ich treffe spontane Entscheidungen, die ich nicht durchdacht habe
- Ich kaufe impulsiv Dinge, die ich nicht brauche
- Ich wechsle häufig Jobs, Hobbys oder Beziehungen
- Ich habe Mühe zu warten, ob in Schlangen oder bei Antworten
Emotionale Regulation
- Meine Stimmung kann schnell und stark schwanken
- Ich reagiere auf Kritik empfindlicher als andere
- Ich werde schnell frustriert, wenn etwas nicht klappt
- Kleine Dinge können mich unverhältnismässig aufregen
- Ich erlebe Emotionen sehr intensiv, positiv wie negativ
- Ich habe Mühe, nach Aufregung wieder runterzukommen
Bereich 4: Körper und Energie
Innere und äussere Unruhe
- Ich habe Mühe, still zu sitzen (wippe mit dem Fuss, spiele mit Gegenständen)
- Ich fühle mich innerlich oft rastlos oder getrieben
- Entspannen fällt mir schwer, auch wenn ich erschöpft bin
- Ich rede viel und schnell, manchmal ohne Punkt und Komma
- Mein Kopf ist selten ruhig, immer sind Gedanken da
Schlaf und Energie
- Ich habe Mühe einzuschlafen, weil mein Kopf nicht aufhört zu arbeiten
- Morgens aufzustehen ist extrem schwer für mich
- Mein Energielevel schwankt stark über den Tag
- Ich bin abends oft am produktivsten
- Ich fühle mich häufig erschöpft, obwohl ich nicht viel getan habe
Bereich 5: Soziales und Selbstbild
Beziehungen und Kommunikation
- Ich vergesse Geburtstage, Abmachungen oder Versprechen
- Mein Partner oder meine Partnerin beschwert sich, dass ich nicht zuhöre
- Ich habe Mühe, Freundschaften langfristig zu pflegen
- Smalltalk fällt mir schwer oder langweilt mich extrem
- Ich sage oder tue manchmal Dinge, die andere verletzen, ohne es zu merken
Selbstwahrnehmung
- Ich fühle mich oft anders als andere, ohne genau zu wissen warum
- Ich habe das Gefühl, mein Potenzial nicht auszuschöpfen
- Ich bin sehr selbstkritisch und kämpfe mit Schamgefühlen
- Ich habe gelernt, meine Probleme zu verstecken oder zu kompensieren
- Ich frage mich oft, warum einfache Dinge für mich so schwer sind
Besonders bei Frauen
Frauen mit ADHS zeigen oft weniger Hyperaktivität und werden deshalb seltener erkannt. Typisch sind stattdessen: Tagträumen, innere Unruhe statt äusserer, perfektionistische Kompensation, emotionale Überwältigung, Erschöpfung durch Anpassung. Die ADHS Deutschland hat weitere Informationen dazu.
Auswertung
Es gibt keine feste Punktzahl, ab der ADHS vorliegt. Aber als grobe Orientierung:
- Wenige Punkte (unter 10): Die Symptome könnten andere Ursachen haben. ADHS ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.
- Mehrere Punkte (10-20): Eine Abklärung könnte sinnvoll sein, besonders wenn die Symptome dich im Alltag einschränken.
- Viele Punkte (über 20): Die Anzeichen sind deutlich. Eine professionelle Abklärung ist empfehlenswert.
Entscheidend ist nicht nur die Anzahl, sondern wie stark die Symptome dein Leben beeinflussen. Auch wenige, aber stark ausgeprägte Symptome können ADHS bedeuten.
Nächste Schritte
Wenn du dich in vielen Punkten wiedererkennst, sind das mögliche nächste Schritte:
- Sprich mit deinem Hausarzt oder deiner Hausärztin über deine Beobachtungen
- Lass dich an einen Psychiater oder eine Psychiaterin mit ADHS-Erfahrung überweisen
- Bereite dich auf das Gespräch vor: Notiere konkrete Beispiele aus deinem Alltag
- Bringe wenn möglich alte Zeugnisse mit (Hinweise aus der Kindheit sind wichtig)
- Informiere dich über den Ablauf einer ADHS-Diagnose
Professionelle Abklärung gewünscht?
In der Schweiz gibt es spezialisierte Anlaufstellen für ADHS bei Erwachsenen. Der erste Schritt ist oft der schwerste, aber er lohnt sich.
Anlaufstellen findenEgal wie die Abklärung ausgeht: Deine Erfahrungen sind real. Und es gibt Wege, besser mit den Herausforderungen umzugehen, ob mit oder ohne offizielle Diagnose.